Berührung berührt

von Tobias Frank

Sonntagmorgen. Ein kleines schwarzes Fellknäuel schnurrt in meinen Armen. Ich drück es an mich heran und schlummere noch ein bisschen weiter. Als kleines Kind hatte ich eine kleine schwarze Plüschkatze, an die ich mich kuscheln konnte. Mittlerweile habe ich ein lebendes Exemplar. Lilith ist Liebe in Katzengestalt und gefühlt die kuschelfreundlichste Katze, die es gibt. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass das Streicheln einer Katze das eigene Nervensystem entspannt – was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann.

Doch wie kommt es, dass manche Berührungen wie die Umarmung eines lieben Menschen, das Streicheln einer Katze oder die gekonnte Massage eines einfühlsamen Bodyworkers, nicht nur den Körper, sondern auch die Seele berühren?

Berührungen schenken Halt und Geborgenheit

Ob wir es realisieren oder nicht: Wir alle leiden unter einem Trauma. Dem Trauma unserer eigenen Geburt. Als wir auf die Welt gekommen sind, muss das für uns als Babys ein ziemlicher Schock gewesen sein. Neun Monate gemütlich im warmen Bauch der Mutter kuscheln.

Plötzlich sind wir allein. Getrennt. Die Nabelschnur, die uns verbunden hat, gekappt. Um uns herum eine kalte, feindliche Welt. Wir frieren und wir haben Angst. Deshalb schreien wir so laut wir können. Doch in diesem schutzlosen Moment erfahren wir auf einmal Liebe und Wärme und zum allerersten Mal in unserem Leben eine Berührung: Die Berührung unserer Mutter.

Heilsamer Hormoncocktail

Das Wissen um diese erste Berührung schlummert tief in unseren Zellen. Und mit ihm die tiefe Sehnsucht, diesen Moment der Liebe und Geborgenheit noch einmal erleben zu dürfen.

Wann immer wir achtsam und liebevoll berührt werden, wird daher ein heilsamer Hormoncocktail ausgeschüttet: Das Ruhe- und Kuschelhormon Ocytozin hilft uns dabei, Stress loszulassen, indem es die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol reguliert. Gleichzeitig fluten uns Endorphine und Serotonin mit Glücksgefühlen. Unser Immunsystem wird gestärkt und die Selbstheilungskräfte gestärkt. Das alles gibt es rezeptfrei und ohne Nebenwirkungen.

Die Angst vor Nähe überwinden

Foto: Nicole Wahl

Doch wenn wir Menschen dazu in der Lage sind, uns gegenseitig zum Nulltarif mit einer so effizienten wie gleichermaßen universellen Medizin zu beschenken, warum machen wir davon nicht viel häufiger Gebrauch?

Die Antwort darauf liegt in einem Paradox begründet: Auf der einen Seite sehnen wir uns nach Berührung, Nähe und Geborgenheit. Auf der anderen Seite schlummert in uns eine Angst vor Nähe. Denn wenn wir berührt werden, fangen wir an zu fühlen. Und zwar nicht nur, die kinästhetische Berührung an der Oberfläche unserer Haut. Sondern uns selbst.

Wir kommen in Kontakt mit unseren eigenen Gefühlen. Und das muss im ersten Moment nicht unbedingt angenehm sein. Denn vieles von dem, was uns im Alltag an sogenannten „negativen“ Gefühlen begegnet wie Angst, Wut oder Trauer, hat in unserem hektischen Alltag keinen Platz. Da wollen wir schnell sein, funktionieren, uns vor anderen Menschen nicht die Blöße geben etc.

Doch nur weil wir keine Lust haben, die unangenehmen Gefühle zu fühlen, heißt es nicht, dass sie weg sind. Sie sind tief in unserem Körper gespeichert – insbesondere im Fasziengewebe, was als Speicher von Emotionen gilt. Diese verdrängten Gefühle können sich dann beispielsweise in Form von Enge in unserem Bauch oder Brustkorb bemerkbar machen.

No Healing without feeling

Berührung ist der Schlüssel dazu, um die verschlossenen Tore zu den Schattenbereichen unseres Körpers wieder aufzuschließen. Das kann im ersten Moment schmerzhaft sein. Und manchmal können dabei auch Tränen fließen wie ich es häufiger in meiner Arbeit erlebe.

Doch für unseren Mut, uns unserer eigenen Verletzlichkeit zu stellen, werden wir belohnt: Wir dürfen auf körperliche Ebene Verspannung und Anspannung loslassen. Wir erobern einen vergessenen Teil von uns zurück und wir werden mit dem Reichtum unserer Gefühle beschenkt.

Vielleicht hast du schon einmal Kinder beobachtet, die innerhalb weniger Augenblicke vom Lachen ins Weinen wechseln können und wieder zurück? Genauso leicht und natürlich dürfen Gefühle fließen. Auf der anderen Seite ist das Unterdrücken von Gefühlen ein großer Energiefresser. Vielleicht kennst du Menschen, die nur in ihrem Kopf sind und nur in ihrem Verstand leben. Sie verbreiten normalerweise eine Aura von Leblosigkeit und Langeweile.

Mut zur Verletzlichkeit

Foto: Ornella Binni

Berühren und berührt zu lassen ist nicht schwer und tut nicht weh. Es erfordert nur Mut. Mut uns verletzlich zu zeigen und zu fühlen, wenn wir berührt werden und die Berührung etwas in uns zum Schwingen bringt.

Und wenn wir Berührung schenken brauchen wir dazu nicht unbedingt eine jahrelange Massage-Ausbildung. Du brauchst keinen Masterplan oder Hunderte von Techniken in deinem Repertoire. Das Spannende an Berührung ist, dass die Technik, eine weniger wichtige Rolle spielt als die allermeisten Menschen denken.

In diesem Sinne bin ich ganz bei Osho, der einmal gesagt hat: „Massage ist 90 Prozent Liebe und nur 10 Prozent Technik“. Doch warum stürzen wir uns dann so auf die 10 Prozent? Weil wir sicher sein wollen. Weil wir die Kontrolle behalten wollen.  

Was wir stattdessen brauchen ist Mut. Mut sich auch einmal unsicher fühlen zu dürfen. Nicht immer mit dem Verstand die Antwort zu wissen. Denn Berührung ist intuitiv. Das heißt, dass in Deinen Händen ein Wissen liegt, zu dem dein Kopf kein Zugang hat.

Deine Hände werden automatisch spüren, was sich gut anfühlt. Du musst lediglich dem, was Du fühlst auch vertrauen. Und im Zweifelsfall ist es auch o.k. einmal leise nachzufragen: „Fühlt sich das gut an, oder nicht?“.

Wichtiger als das WAS, die richtige Technik, der perfekte Massagegriff, ist das WIE, das heißt die Qualität unserer Berührung. Wenn wir langsam, achtsam und aus dem Herzen berühren, fühlt sich unsere Berührung automatisch angenehm an.

In der Schule haben wir gelernt, durch unseren Verstand in den Kategorien „richtig“ und „falsch“ zu urteilen. Und deshalb strengen wir uns so an, alles richtig machen zu wollen und haben Angst davor etwas falsch zu machen. 

Doch diese Angst ist unbegründet. Es gibt nämlich nicht die eine Art der richtigen Berührung. Berührung kann mal weich und zart, mal fließend, mal ruhend oder was auch immer sein. Es gibt allein ein Dutzend verschiedener Massage-Stile und noch viel mehr Menschen, die sie ausführen. 

Jeder hat seine eigene Berührung. Und Du darfst Deiner Berührung vertrauen!

Entspann dich einfach! Die schönsten Berührungen sind häufig die, wo du selbst einfach nur du bist und nichts tust. Genauso wie meine schlafende Katze.

Foto: Benjamin Kurtz

Tobias Frank ist Mitbegründer und erster Vorsitzender des Netzwerk Berührung e.V., einem gemeinnützigen Verein, der sich für mehr Berührung in der Welt einsetzt. Zudem ist er Autor des Buches „Thai Yoga – Körper & Seele berühren“. In seinen Workshops und Ausbildung vermittelt er Menschen die Kunst der achtsamen Berührung. Mehr über seine Arbeit erfährst du unter www.thaiyoga.de. Eine Einführung in Thai Yoga bietet sein kostenloser Video-Kurs „Loslassen leicht gemacht“.

Großes Beitragsbild:  pixabay